Body Positivity, Fat Acceptance, Health at Every Size: Die Anti-Diät-Bewegung hat einige Begriffe mit im Gepäck, die immer häufiger genutzt werden. Was diese Begriffe aber genau bedeuten, ist nicht unbedingt jedem klar. Ein Beispiel: Body Positivity wird sehr häufig mit Selbstliebe gleichgesetzt. Doch das ist so nicht ganz richtig. Body Positivity kann zwar Selbstliebe beinhalten, muss aber nicht, und der Begriff geht noch weit darüber hinaus.

Die Begriffe Body Positivity, Selbstliebe, Stigmatisierung und Diätkultur werden definiert

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Body Positivity respektiert alle Körpertypen

Body Positivity lässt sich wohl am ehesten mit Selbstakzeptanz oder Körperakzeptanz übersetzen und beinhaltet, dass das Aussehen und der Wert eines Menschen zwei völlig verschiedene Dinge sind. Das bedeutet: Auch wenn der eigene Körper vielleicht nicht im gesellschaftlich akzeptierten Sinne schön ist, wird ihm Respekt und Akzeptanz entgegengebracht. Er wird als vorbehaltlos wertvoll angesehen.

Selbstliebe bezeichnet die allumfassende Annahme der eigenen Person in Form von uneingeschränkter Liebe zu sich selbst

Doch heißt das jetzt auch, dass man jeden Makel an sich lieben und alle Menschen schön finden muss? Natürlich nicht. In Bezug auf Body Positivity sind das vermutlich die beiden häufigsten Missverständnisse. Body Positivity ist die bewusste Entscheidung zu einer Lebenseinstellung, die es dir ermöglicht, den eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er gerade ist. Natürlicherweise gibt es Menschen in allen Größen und Formen. Sie ermutigt dich, alle Körpertypen zu respektieren ohne ein bestimmtes Körper- oder Schönheitsideal zu verherrlichen. Body Positivity hat mit Schönheit an sich erst mal gar nichts zu, sondern richtet sich an alle Menschen, die Probleme mit ihrem Körperbild haben.

Body Positivity ist eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass alle Körper akzeptiert werden so wie sie sind. Sie zeigt gleichzeitig die umfassenden Strukturen auf, die Schömheitsideale und Körpernormen definieren

Doch warum ist eine Body-Positivity-Bewegung überhaupt notwendig? Sollte es nicht eigentlich normal sein, alle Körpertypen zu respektieren und zu akzeptieren? Der Grund liegt in der vorherrschenden Diätkultur.

Schlank ist gleich gesund?

Der Begriff Diätkultur beschreibt eine Reihe von Glaubenssätzen, die den Wert eines Menschen in erster Linie über das bestimmte Aussehen seines Körpers definiert. Diätkultur bedeutet aber nicht einfach nur „auf Diät zu sein“. Vielmehr verehrt sie das Schlanksein als Statussymbol und setzt es gleich mit moralischer Überlegenheit und Gesundheit: Nur ein schlanker Mensch ist auch ein guter Mensch und jemand mit einem hohen Körpergewicht kann nicht gesund sein. Das Ideal eines schlanken Körpers wird dabei über Wohlbefinden und die Gesundheit des einzelnen gestellt. Die Diätkultur erwartet zudem von dicken Menschen, dass sie alles dafür tun, um endlich schlank zu werden.

Der Begriff Diätkultur beschreibt eine Reihe von Glaubenssätzen, die den Wert eines Menschen in erster Linie über das bestimmte Aussehen seines Körpers definiert. Sie verehrt das Schlanksein und setzt es gleich mit moralischer Überlegenheit und Gesundheit

Die Denkweise, die die Diätkultur verkörpert, nennt man Diätmentalität und der sogenannte Diet Talk verbreitet ihre Glaubenssätze. Diet Talk ist aber mehr als nur das ständige Reden über Diäten oder Gewicht. Es ist eine Form des gesellschaftlichen Drucks, der vermittelt, dass ein hohes Körpergewicht ein Makel ist, der repariert werden muss. Diet Talk tarnt Beleidigungen als Komplimente, z. B. „Du hast so ein schönes Gesicht, wenn du nur ein bisschen schlanker wärst“. Er gibt einem das Gefühl, nicht richtig zu sein, z. B. „Kennst du schon Diät xy, damit schaffst du es bestimmt auch abzunehmen“. Und er besetzt das Wort „fett“ mit negativen Gefühlen und schlechten Charaktereigenschaften. Der Satz „Ich fühle mich so fett“ bedeutet nicht anderes als „Ich fühle mich so eklig“ und wertet letztlich die eigene Person ab: „Ich bin schlecht, undiszipliniert und wertlos“.

Diet Talk ist eine Form des gesellschaftlichen Drucks, der vermittelt, dass ein hohes Körpergewicht ein Makel ist, der repariert werden muss

Diätkultur als Voraussetzung für Gewichtsstigmatisierung

Die Diätkultur normalisiert das ständige Streben nach Gewichtsabnahme. Sie wertet alle anderen Körperformen ab und bietet einen Nährboden für Gewichtsstigmatisierung. Stigmatisierung (von griech. Stigma: Stich, Wundmal) bedeutet, dass einem Menschen allein aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe negative Eigenschaften zugeschrieben werden und beinhaltet Stereotypen, Vorurteile und Diskriminierung. Von dicken Menschen wird allgemein angenommen sie seien faul, schwach, willenlos, undiszipliniert und vor allem selbst schuld an ihrem Körpergewicht. Sie müssten sich nur etwas mehr zusammenreißen, weniger und gesünder essen, sich mehr bewegen und dann hätten sich auch keine Gewichtsprobleme. Doch diese Annahme ist falsch: Ein hohes Körpergewicht ist keine Frage der Disziplin, sondern hat vielschichtige Gründe, von biologischen und genetischen Merkmalen, über psychosoziale und umweltbedingte Größen, bis hin zu gesellschaftlichen Faktoren [1].

Viele Menschen mit einem hohen Körpergewicht – aber auch Schlanke, die sich für zu dick halten – übernehmen irgendwann die negative Einstellung der Gesellschaft gegenüber Dicken und übertragen sie auf sich selbst. Fachsprachlich bezeichnet man das als Internalisierung. Sie geht mit psychischen und physischen Folgen für die Gesundheit einher. Beispielsweise entwickeln Betroffene häufiger eine Abneigung gegen den eigenen Körper, setzten sich mit unrealistischen Abnehmzielen unter Druck und haben ein höheres Risiko, eine Depression zu entwickeln. Vorurteile, Beleidigungen und Zurückweisungen von anderen aufgrund des Gewichts werden als zusätzliche Stressoren empfunden, die die Internalisierung noch verstärken. Gewichtsstigmatisierung, Sticheleien und gute Ratschläge motivieren jedoch nicht zur Abnahme, sondern machen alles nur noch schlimmer: Studien zeigen, dass sie eher kontraproduktive Verhaltensweisen wie Frustessen, Bewegungsmangel, soziale Isolation oder Gleichgültigkeit der eigenen Erscheinung und Gesundheit gegenüber fördern [2, 3].

In einer Gesellschaft, die sich über Schlankheit und äußeres Erscheinungsbild definiert und Nahrungsmitteln moralische Werte zuordnet, sind Diätkultur und Gewichtsstigmatisierung an der Tagesordnung. Doch Diäten führen nur in den seltensten Fällen zu einem schlankeren Körper [5]. Über 95 Prozent aller Diäten scheitern. Das beinhaltet übrigens auch alle sogenannten „Ernährungsumstellungen“. Zwei Drittel haben nach der Diät sogar ein höheres Gewicht als davor [6, 7]. Zudem bestärkt die Diätkultur die Annahme, dass Gewicht zu verlieren in jedem Fall gesünder machen würde. Doch am Gewicht einer Person den Gesundheitszustand abzulesen ist schlichtweg unmöglich. Wahrscheinlich ist der Einfluss der Figur auf die Gesundheit und Lebenserwartung sogar viel geringer als bislang angenommen. Es scheint vielmehr auf die Kardio-Fitness anzukommen [8, 9]. Statistisch gesehen lebt nämlich jemand, der auch bei einem hohen Gewicht körperlich aktiv ist, sogar länger als ein schlanker, inaktiver Mensch [10].

Ist Health at Every Size die Lösung?

Diäten kann man also getrost vergessen. Doch was ist eine gute Alternative? Das könnte beispielsweise Health at Every Size oder kurz HAES sein, ein Ansatz, der den Fokus weg vom Körpergewicht und hin zu mehr Gesundheit und Wohlbefinden verschiebt. Die drei Säulen von HAES sind Selbstakzeptanz, intuitive Ernährung und Freunde an Bewegung. HAES betrachtet das körperliche und geistige Wohlbefinden einer Person – egal ob dick oder dünn – aus der medizinischen Perspektive und liefert die wissenschaftliche Literatur für verschiedene Ansätze, sich gut um die eigene Gesundheit zu kümmern, gleich mit. Das Gewicht spielt dabei keine Rolle: Es ist möglich, dass einzelne Menschen Gewicht verlieren, wenn sie mit dem HAES-Ansatz allgemein gesündere Lebensgewohnheiten entwickeln. Eine konkrete Gewichtsabnahme wird allerdings gar nicht angestrebt. HAES verherrlicht übrigens weder Adipositas, noch bedeutet es, dass jedes Gewicht gesund ist. Das lässt sich bereits aus dem Namen ableiten: Schließlich heißt es „health“ (=Gesundheit) at every size und nicht „healthy“ (=gesund) bei jeder Größe.

Health at Every Size ist ein Ansatz, der den Fokus weg vom Körpergewicht und hin zu Gesundheit und Wohlbefinden verschiebt.

Ganz unabhängig davon, wie das momentane Gewicht oder der aktuelle Gesundheitszustand ist, unterstützt HAES gesunde Verhaltensweisen zu wählen und so die eigene Lebensqualität zu verbessern. Nicht jeder, der dick ist, kann (oder will!) abnehmen und das gilt es auch zu akzeptieren. Wer also die Diätkultur hinter sich lassen und Frieden mit dem eigenen Körper und dem Essen schließen will, für den ist die Anti-Diät-Bewegung mit Health at Every Size und Body Positivity wahrscheinlich genau das Richtige.

Body Positivity ist eine Lebenseinstellung, die es dir ermöglicht, deinen eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er gerade ist.

Ich bin gespannt auf deine Meinung: Welche Erfahrung hast mit Diäten? Bist du mit den Definitionen einverstanden? Möchtest etwas ergänzen?

6 thoughts on “Wie sich Body Positivity von Selbstliebe unterscheidet (und noch ein paar andere wichtige Begriffe der Anti-Diät-Bewegung)

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